Taten statt Worte


Europa ist nicht selbstverständlich. Jetzt ist die Zeit, aufzustehen, für Europa zu kämpfen und wachsenden Nationalismus und Populismus entgegenzutreten. Das haben Annette Schavan, ehemalige Bundesministerin und Botschafterin am Heiligen Stuhl in Rom, und Daniel Röder, Gründer der Initiative „Pulse of Europe“, am Samstag, 27. Oktober, vor der Limburger Diözesanversammlung betont. Die Vertretung der Limburger Katholiken beschäftigt sich im Wiesbadener Roncalli-Haus mit dem Thema Europa und verabschiedete dazu eine Erklärung. Darin forderten sie alle Bürger auf, sich für ein starkes und freies Europa einzusetzen. Um globale Probleme lösen zu können, brauche es nicht weniger, sondern mehr europäischen Zusammenhalt.
Für die Demokratie streiten
Daniel Röder warnte davor, die Lage Europas zu verharmlosen. Der Gießener Jurist und Richter sprach von einem strategisch gezielten Angriff auf die liberale Demokratie weltweit. „Was passiert ist ein Angriff und wir befinden uns im Krieg“, sagte Röder in drastischen Worten. In vielen europäischen Ländern gebe es mittlerweile Kräfte, „die unsere Werte zerstören“ und die freie regelbasierte Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg mühevoll aufgebaut worden sei, ersetzen wollten. Diese könne nur erhalten werden, wenn sich alle zivilgesellschaftlichen Kräfte gemeinsam dafür einsetzen. Weil die Gegner der Demokratie, etwa in sozialen Netzwerken, sehr gut vernetzt und hierarchisch organisiert seien, müssten auch zivilgesellschaftliche Akteure gemeinsame Strategien entwickeln. „Demokratie passiert nicht einfach“, machte Röder deutlich, der 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde. Die Bürger müssten neu lernen, für die Demokratie zu streiten. „Neutralität ist keine Haltung mehr.“
Nicht die Zeit für Protestwahlen
Während in einigen europäischen Ländern christliche Kirchen Nationalismus förderten, bezeichnete Röder die katholische Kirche in Deutschland als „wichtigen Partner“, der aber im gesellschaftlichen Diskurs noch eine viel größere Rolle spielen könnte. Gerade die Kirchengemeinden seien „wichtige Zellen für einen gesellschaftlichen Erneuerungsprozess“. Die Europawahl 2019 bezeichnete er als „Schicksalswahl“ für Europa. Die Gegner der Demokratie versuchten gezielt in das EU-Parlament einzuziehen. Christen bat er deshalb darum, aktiv zu werden, Leute zum Wählen zu motivieren, sich mit anderen zivilgesellschaftlichen Kräften zu vernetzen und Räume zu schaffen, in denen sich Menschen konstruktiv mit Politik beschäftigen könnten. „Es ist jetzt nicht die Zeit für Protestwahlen, sondern die Zeit proeuropäische Parteien zu wählen“, so Röder.
Europa kann Krise überwältigen
Für Annette Schavan geht es bei der Europawahl um die Zukunft von Kindern und Enkelkindern. Sie rief die Kirchen und Bischöfe dazu auf, sich in den kommenden Monaten intensiver mit Europa zu beschäftigen. „Die Kirche war nie ein Demokratiemotor. Aber sie könnte es jetzt sein“, sagte die ehemalige Bundesministerin. Es wäre ein starkes Zeichen an die Politik, wenn sich die Kirchen gemeinsam für die europäische Idee einsetzen würden.
Zugleich machte Schavan deutlich, dass Europa bereits in der Vergangenheit Krisen bewältigt habe. Im Zuge der Römischen Verträge 1957 und der Deutschen Wiedervereinigung 1989/1990 habe es demokratische Aufbrüche gegeben. Es seien nicht selten Christen gewesen, die mit ihrem Einsatz Spaltung und Trennung überwunden hätten. Auch für die Bewältigung der aktuellen Krise seien laut Schavan Christen erneut gefragt. Hier nannte Schavan mehrere Ansatzpunkte: Die im Zuge großer Flüchtlingsbewegungen aufgekommene Verunsicherung Europas müsse überwunden werden. „Glaubende Menschen müssen dazu beitragen, dass aus dieser Verunsicherung nicht noch ein weiteres Zerbrechen entsteht“, sagte Schavan. Zugleich müssten sich Christen für einen gegenseitigen Respekt stark machen. „Respekt ist eine Voraussetzung für den Dialog“, erklärte die Politikerin. Zivilgesellschaftliche Akteure dürften einer Verrohung des politischen und gesellschaftlichen Diskurses nicht tatenlos zuschauen. „Jetzt ist eine Zeit der Zivilgesellschaft.“ Politik werde nicht von oben diktiert, sondern beginne häufig gerade in der Zivilgesellschaft, also dort, wo sich Menschen für politische Prozesse einsetzen und engagieren. Schavan appellierte außerdem, die Verschiedenheit und Vielfalt Europas nicht als Schwäche, sondern als Stärke zu begreifen. Europa sei noch nie ein Kontinent der Konformität gewesen, sondern ein Kontinent des Pluralismus und der Toleranz. Mit Blick auf eine politische Reformagenda betonte Schavan, dass Lösungen für alle Partner gangbar sein müssten. „Warum lassen wir nicht unterschiedliche Geschwindigkeiten zu?“, fragte Schavan. Sie warnte außerdem davor, dass Europa seinen Wohlstand verspielen könnte. Es sei ein Skandal, dass 25 Prozent der europäischen Jugendlichen heute arbeitslos seien. „Der Kontinent ist alt und verweigert den Jungen Perspektiven.“ Europa müsse offener gegenüber neuen Technologien werden und Innovationen fördern. „Innovationen entscheiden über den künftigen Wohlstand.“
Diözesanversammlung äußert sich zu Causa Wucherpfennig
Neben dem Thema Europa diskutierte die Limburger Katholikenvertretung auch den Fall Wucherpfennig sowie die Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche. In Kleingruppen wurde etwa die Priesterausbildung sowie der Pflichtzölibat kritisch hinterfragt. Die Präsidentin der Diözesanversammlung, Ingeborg Schillai, machte deutlich, dass der Prozess der Aufarbeitung ganz am Anfang stehe: „Das Thema ist nicht zu Ende. Es wurde angedacht und angefangen.“
Irritiert zeigte sich die Diözesanversammlung mit Blick auf den Fall Wucherpfennig. „Die Diözesanversammlung des Bistums Limburg ist sehr irritiert über die Verzögerung des Nihil obstat nach der Wiederwahl von Prof. Dr. Ansgar Wucherpfennig SJ als Rektor der PTH Sankt Georgen. Die Mitglieder der Diözesanversammlung unterstützen die Haltung von Bischof Dr. Georg Bätzing und des Provinzials des Jesuitenordens, Johannes Siebner SJ, die in aller Deutlichkeit zur Wahl von Pater Wucherpfennig stehen.“ Dass ein Theologe auf diese Art und Weise gemaßregelt werde, sei heute nicht mehr nachvollziehbar. Nötig sei ein „offener und angstfreier Dialog“ über für Menschen von heute wichtige Themen. Die Mitglieder der Diözesanversammlung erwarteten deshalb, dass die ausstehende Zustimmung zu einer weiteren Amtszeit von Wucherpfennig in unmissverständlicher Weise noch erfolge.